
©Canva (Air Rus)
„Man weiß überhaupt nicht mehr, was man machen soll in diesen Zeiten. Ich fühle mich dem allen ausgeliefert, ohne Aussicht auf Besserung.“ So äußert sich eine Patientin über die gegenwärtige politische Lage, die ihr sehr zusetzt, verunsichert und Aussichtslosigkeit verbreitet. Ihr Bedürfnis nach Sicherheit für sich und ihre Kinder ist stark in Mitleidenschaft gezogen und wirkt als Verstärker für Depression.
Das Bedürfnis nach Sicherheit ist ein zentrales Beziehungsbedürfnis. Beziehungsbedürfnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass wir uns diese nicht selbst erfüllen können, sondern dazu auf andere angewiesen sind. Das ist eine Ausprägung der sozialen Grundlagen unseres Zusammenlebens und verbindet uns deutlich mit allen anderen Lebewesen, die im Rudel oder in der Herde leben. Das Aufeinander-angewiesen-sein stärkt also die soziale Verbindung.
Wer stillt das Bedürfnis nach Sicherheit?
Da wir in unsicheren Zeiten leben [X] und das mindestens schon seit Beginn der Corona-Krise, hat das Gefühl der Unsicherheit weiter zugenommen oder zumindest nicht abgenommen. Auf welches Gegenüber warten wir, das uns dieses Beziehungsbedürfnis nach Sicherheit befriedigen soll? Im Laufe unserer Entwicklung als Kinder und Jugendliche sind es in erster Linie die Eltern, von denen wir dies erwarten und brauchen. Gesellschaftlich scheint das überzugehen auf Menschen mit Führungsfunktionen und das sind in unserer Gesellschaft Politiker auf verschiedenen Ebenen. Diese können uns das Bedürfnis nicht mehr erfüllen. Und zwar weil sie es nicht können, die Aufgaben so komplex geworden sind oder an zu vielen Orten auf der Erde Brandherde entstanden sind, die uns mindestens zum Teil direkt betreffen.
Das Bedürfnis nach Sicherheit nach außen verlagert
In meiner Jungend hat uns der der Vietnam-Krieg, der uns als Jugendliche verunsichert und aufgebracht. Wir sind dagegen aufgestanden, weil uns von der politischen Ebene und den Menschen dort keine Lösung erwartet haben bzw. keine angeboten wurde. Heute stellen wir eine gegenläufige Tendenz fest: Viele setzen auf einen harten Führer, der natürlich auch männlich sein soll, der es für uns richten soll. Wenn er das nicht tut, wird er abgewählt. So wird das Beziehungsbedürfnis nach Sicherheit nach außen verlagert an eine anonyme Person oder einen Machthaber, der aus väterlicher Haltung das Versprechen abgibt, für die Menschen zu sorgen. Für die eingangs erwähnte Patientin wäre das keine Lösung! Denn sie möchte ihr Schicksal nicht in die Hand von jemandem anderen legen – so sagt es ihr Bewusstsein. Unbewusst wirkt aber genau dieser Wunsch nach, der in ihrer Kindheit schon nicht ausreichend beantwortet wurde.
Da gibt es niemanden, der das Bedürfnis nach Sicherheit befriedigend stillt!
In einer unsicheren und unsicherer werdenden Welt gibt es niemanden, der das Beziehungsbedürfnis nach Sicherheit in ausreichendem Maße stillen kann, weil alle – auch die politisch Verantwortlichen – die Auswirkungen ihres politischen Handelns auf die komplexen Systeme nicht überschauen können. Wir können also auch hier mal wieder nur auf Sicht fahren und schauen, wie wirkt sich ein politisches Vorgehen aus auf wen. Und dabei wird es dazu kommen, dass Einzelne in Bezug auf den Status quo mit Nachteilen zu tun haben werden, die ihnen nicht gefallen werden. Das wird auch wieder die Unsicherheit und den Frust vergrößern. Zumindest bei einigen.
Wenn wir also das Beziehungsbedürfnis nach Sicherheit durch den Staat befriedigt haben wollen, dann wird das nur partiell gelingen können. Wo können wir denn dann passende Antworten erhalten auf dieses Beziehungsbedürfnis?
ROMPC und die Beziehungsbedürfnisse
Wir fragen im ROMPC fragen in unsere Geschichte der Klienten hinein, wann, wie und durch wen dieses Beziehungsbedürfnis verletzt wurde. Da das Beziehungsbedürfnis nach Sicherheit so zentral ist und schon sehr früh in unserer Entwicklung Antworten braucht, wirken Verletzungen an dieser Stelle bis ins Erwachsenenalter hinein. Wir haben dann an dieser Stelle einen besonders großen Beziehungshunger oder wir tun so, als ob wir nichts bräuchten und ganz autark wären. Sobald wir diese vermeintliche Stärke nicht mehr aufrechterhalten können, kommt der Zusammenbruch, denn diese Fassade von Stärke hält nicht über schwierige Zeiten.
Wir sind auf der Suche nach jemandem, der unser Sicherheitsbedürfnis befriedigt
Der Anlass dafür kann gering sein: „Eigentlich“ kritisiert ein Chef die eigene Performance in einer Präsentation, ohne mich dabei abzuwerten. Aber ich sehe das als frontalen Angriff auf mich als Person. An dieser Stelle können die Selbstzweifel beginnen und sehr stark werden. Auch damit können wir mit unseren Mitteln gut arbeiten.
Wenn wir das nicht therapeutisch bearbeiten wollen oder können, sind diese Fragen zu stellen:
- Von wem kann ich ein Stück Sicherheit einigermaßen verlässlich erhalten?
- Auf wen kann ich mich in dieser Hinsicht verlassen?
- Darf ich mir die Antwort holen oder muss ich warten, bis ich die von allein bekomme?
Ja, es sollte möglich sein, uns die Antwort zu holen, danach zu fragen. Das kann uns Sicherheit geben und zugleich das nächste Beziehungsbedürfnis erfüllt werden, nämlich das nach Vergewisserung: Ich vergewissere mich, dass die gefragte Person noch so zu mir steht, wie ich das in der Vergangenheit erlebt habe.
[X] S. hierzu auch den Sammelband „Veränderung in unsicheren Zeiten“ hg. von H.-G. Andersch-Sattler, Kissing (SynBooks) 2021
Dieses Buch ist im Eigenverlag bei SynBooks erschienen. Es kann bestellt werden über info@synbooks.de oder über die Seite www.veraenderung-in-unsicheren-zeiten.de . Es kostet € 17,80 incl. Umsatzsteuer. Oder als E-Book € 14,50. Der Versand ist portofrei.
Mehr Informationen finden Sie in diversen Veröffentlichungen: https://rompc-institut-kassel.de/veroeffentlichungen.html
Zum Thema „Beziehungsbedürfnis“ fand bereits ein Come together statt.