Eigentlich ist es falsch gedacht, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan entfachen kann; dazu müssen diverse andere Bedingungen zusätzlich gegeben sein, damit das passieren kann. So müssen bspw. die Luftmassengegensätze hoch entwickelt sein und kurz vor dem Zerbersten, d.h. Kalt- und Warmfronten müssen aufeinandertreffen, eine Verteilung der Luftmassen durch z.B. Winde ist im Vorhinein nicht möglich, etc.
Kommt dann noch dieser Flügelschlag des Schmetterlings hinzu, kann genau dieser die zusätzliche Bedingung liefern, die hohen Ladungspotenziale zur Entladung zu bringen. D.h. nicht der Schmetterling ist die Ursache für das Unwetter, sondern eine ganze Anzahl verschiedener Ursachen, die zusammenwirken. Bei genauerem Hinschauen haben wir es also hier mit zirkulär definierten Prozessen zu tun, die sich über verschiedene Rückkopplungsschleifen gegenseitig beeinflussen – verstärken oder abschwächen.
Soziale Systeme sind komplexe Systeme
Komplexe Systeme sind nur zirkulär verstehbar, nicht monokausal. Und Wetter ist ein komplexes System. Darüber hinaus sind alle menschlichen sozialen Systeme komplexe Systeme. Dazu mehr weiter unten.
Das Prinzip der Zirkularität ist ein wesentlicher Baustein systemischer Theorie und systemischen Arbeitens. Es umfasst im Wesentlichen, dass Wirklichkeit mehrfach determiniert ist. Während in linear-kausalen Vorgehensweisen eine Causa auftaucht, die zu einer Veränderung oder Wirkung geführt hat, so ist unsere soziale Wirklichkeit komplexer und gründet oft auf einem ganzen Bündel von Variablen, die eine Wirkung erzeugen.
Das betrifft die sog. nicht-trivialen Systeme, also Systeme, die sich auf mehrere unterschiedliche Wirkprozesse beziehen. Das ist bei sozialen Systemen immer der Fall. Denn die Multikausalität in sozialen Systemen lässt sich nur in Form eines Regelkreises beschreiben. Die einzelnen Elemente bedingen sich gegenseitig und sind so mehrfach miteinander verknüpft über wechselseitig Rückkopplungsprozesse. D.h. eine Veränderung in einem Element führt automatisch Änderungen in allen anderen herbei, und diese wiederum sorgen für weitere Rückwirkungen, die die Elemente aufeinander haben.
Zirkularität in Unternehmen
Aufgrund dieser ständigen Wechselwirkungen gibt es keinen fest definierten Zustand. Alles ist sozusagen im Fluss. Ganz praktisch heißt das:
Ein Mitarbeiter im Team ist nicht beliebt. Er wird für vieles, was nicht so läuft, wie es sollte, verantwortlich gemacht. Wird dieser Mitarbeiter nun ausgetauscht, kann es sein, dass eine andere Person allmählich in genau dieselbe Position rutscht, wie der entlassene Mitarbeiter. D.h. hier wurde ein Symptom beseitigt, aber die eigentlichen Grundlagen für die schlechte Performance werden nicht gesehen, denn diese liegen im Miteinander der Teammitglieder und nicht im Tun oder Lassen Einzelner. Wenn aber die Zusammenarbeit der eigentliche Störfaktor ist, an dem alle, auch der Chef, mitwirken, ist die Entlassung einer Person keine Lösung, sondern führt zur Aufrechterhaltung des eigentlichen Problems.
Jetzt könnte man sagen: Gut dann haben wir also die Zusammenarbeit als Grund gefunden, warum es nicht so funktioniert, wie es sollte. Was aber ist Zusammenarbeit? Wenn sie nicht definiert ist, dann trägt jedes einzelne Individuum etwas dazu bei. Das gilt sowohl für das erfolgreiche wie das nicht-erfolgreiche Zusammenwirken. Damit das besser wird, müsste sich jeder/jede ein Stück weit ändern.
Es gibt einen alten Bayerischen Witz:
„Warum geht der Mann ins Wirtshaus?
Weil die Frau nörgelt.
Warum nörgelt die Frau?
Weil der Mann ins Wirtshaus geht.“
Diese zirkuläre Definition ist zumindest richtiger als die einseitige Zuschreibung der Verantwortung. Das Ergebnis dieser Definition könnte z.B. heißen: Jeder ist zu 50% verantwortlich für diese ungünstige Paardynamik. Wer könnte etwas ändern? Jede/r von beiden. Die größten Chancen für eine Veränderung der Paardynamik wäre gegeben, wenn beide einen Schritt in Richtung der Veränderung täten. Das würde die größte Nachhaltigkeit ermöglichen.
Fragen über organisationale Zusammenhänge
Wenn wir das bisher Entwickelte auf Organisationen und deren Weiterentwicklung anwenden, dann muss jede beteiligte Person an der Weiterentwicklung teilhaben. Das gilt sowohl für jedes Team wie auch für die gesamte Organisation.
Deshalb stellen wir oft die Fragen:
- Welche Auswirkungen hat z.B. die Einführung einer neuen Software auf die Organisation?
- Welche Prozesse können dadurch verbessert werden, welche verschlechtert oder erschwert?
- Wer müsste wie beteiligt werden, damit die negativen Aspekte überschaubar und klein bleiben?
Genauso legitim wäre aber auch ein e andere Fragerichtung:
- Welche Auswirkungen hat die Einführung der Software auf andere Teilorganisation wie den Vertrieb?
Oder auf einzelne Mitarbeiter an Schaltstellen der Organisation wie dem Service z.B.
Zudem können wir nicht alle Rückkopplungsprozesse im Vorhinein abfangen. Manche zeigen sich erst in der konkreten Anwendung. Es ist aber gut, wenn wir für solche Fragen offen sind, damit die eventuell entstehenden negativen Wirkungen wenigstens im Nachhinein berücksichtigt werden können.
Einzelcoaching und die Auswirkungen auf die Organisationen
Wenn wir uns mit individuellem Coaching beschäftigen, dann sollten wir mit im Blick haben, in welcher Organisation sich unser Coachee bewegt, so dass die Veränderungen, die durch das Coaching bewirkt werden, nicht den Grundsätzen der Organisation zuwiderlaufen. Eine öffentlich-rechtliche Organisation beispielsweise funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten als eine privatwirtschaftlich organisierte und ein Konzern folgt anderen Gesetzen als ein mittelständisches Unternehmen oder ein kleiner Handwerksbetrieb. Wenn wir die Menschen also für ihre Organisation, in der sie arbeiten, fit machen wollen, dann sollten wir die Grenzen und Möglichkeiten der Organisation kennen und berücksichtigen.
So ist Coaching – egal ob mit einzelnen oder Gruppen – als zirkulärer Prozess mit Rückkopplungsschleifen zu verstehen, für die wir als Coaches offen sein sollten. Dasselbe gilt auch für Supervisionsprozesse.
Das und vieles mehr lernen Sie in der Ausbildung „Systemisches Coaching – Systemische Supervision“