von Heinz-Günter Andersch-Sattler
In der Tat, es gibt kein Ende von Corona-Infektionen. Und: Mal wieder tun viele überrascht, dass die Infektionszahlen im Herbst wieder steigen, seit die Temperaturen uns mehr in die Innenräume drängen. Angeblich seien auch die Virologen überrascht, sagen einige Politiker, obwohl diese im August bereits vor der jetzigen Welle gewarnt haben. Denn irgendwie müssen die Politiker sich selber rechtfertigen. Die Impfzentren wurden zu einem großen Teil im September geschlossen und zurückgebaut. Jetzt sollen sie mühsam wieder aufgebaut werden. Das ist mehr, als diese wieder hochzufahren und kostet, wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, das Dreifache. Einen Impftermin zu kriegen, ist Glückssache, jetzt, da viele sich impfen lassen oder die Impfung auffrischen lassen wollen.
Spaltung der Gesellschaft
Gleichzeitig nimmt die Spaltung in der Gesellschaft zu. Das scheint von vielen Politikern billigend in Kauf genommen oder sogar geschürt zu werden, um Druck zu erzeugen. Dieser Druck ruft Trotz hervor, der die Verweigerung noch verschärft und die Zweifel an Politik und Gesellschaft weiter schürt. Das führt zwangsläufig zu großen sozialen Belastungen. Eine Patientin berichtet, dass ihre Familie gespalten sei. Sie selbst sei geimpft, 2 ihrer Kinder seien nicht geimpft, davon eine grundsätzlich gegen Impfungen und einer tendiere zur Leugnung einer Pandemie. Ein normales Gespräch am Telefon oder gar ein Treffen sei äußerst schwierig. Jeder vermeide mehr oder weniger den Kontakt. Nur zwischen ihr und einem weiteren Sohn und dessen Familie gebe es noch einen regen Austausch.
Die Folgen – sozial und psychisch
Diese sozialen Folgen haben auch psychische Folgen bei den einzelnen. Meine Patientin ist sehr unglücklich über diese Entwicklung. Sie hat sich immer einen guten Zusammenhalt in der Familie gewünscht, denn in ihrer Herkunftsfamilie war dies nicht der Fall. Dort habe es viel Streit gegeben bis zu heftigen Anfeindungen unter den Geschwistern. Diese alten Belastungen kommen wieder an die Oberfläche aufgrund der aktuellen Lage. Nach meiner Übersicht in meiner Praxis unter meinen Patienten, von denen einige nicht geimpft sind, gibt es jedoch die meisten, die sehr sorgfältig mit sich selbst umgehen, sich stets testen und auch unnötige Kontakte vermeiden. Von diesen geht nur eine geringe Infektionsgefahr aus. Ich glaube nicht, dass die höher ist, als das Infektionsrisiko bei Geimpften, die ja im Durchschnitt viel mehr Kontakte in Gaststätten oder bei anderen Veranstaltungen, z.B. Kulturveranstaltungen eingehen.
Ein Ausweg?
Für mich gibt es nur den Weg: Mit allen im Gespräch zu bleiben, die Sorgen ernst zu nehmen, hier oder da Informationen nachzuschieben, wo sich aus Unwissenheit eine überhöhte Angst entwickelt hat. Aber auch diejenigen, die gut informiert sind, sich aber dennoch nicht impfen lassen wollen oder gerade deswegen, dürfen nicht aus der Kommunikation ausgesperrt werden oder sich massiven Angriffen ausgesetzt sehen. Menschen wollen ernst genommen werden mit ihren Bedenken und haben ein Recht darauf, mindestens in einer psychotherapeutischen Praxis. Wenn sich aktuelle Ängste mit alten Ängsten mischen, können wir wenigstens die alten Ängste ein Stück weit befrieden, damit die in der aktuellen Situation nicht auch noch die Ängste zusätzlich antreiben.
Auswirkungen der Vergangenheit auf heute
Bei o.g. Patientin war es nötig, die Gespenster aus ihrer Herkunftsfamilie ein Stück weit einzuhegen und den Unterschied zwischen damals und heute deutlich zu machen. Insgesamt steht bei Patienten mit ähnlichem Erleben im Vordergrund, die emotionale Belastung durch die vergangenen Erfahrungen zu senken. Das betrachte ich als meine Aufgabe. Darüber hinaus gilt es auch, die neu entstandenen Wunden zu bearbeiten, die durch solche Spaltungen in Familien oder anderswo entstanden sind, damit diese rechtzeitig zur Ruhe kommen können und die sozialen Beziehungen nicht bis in alle Zukunft belasten. Denn so kennen wir es aus lang anhaltenden Konflikten oder Fehden in Familien oder zwischen (ehemaligen) Freunden, dass diese Belastungen sehr lange dauern können und die Schuld an dem Beziehungsdesaster des jeweils anderen gegeben wird, um selbst von der Verantwortung frei sein zu können.
Verantwortung übernehmen in Konfliktsituationen
Wir können uns aber von der Verantwortung in den meisten Fällen nicht einfach lossagen; denn es liegt auch in meiner Verantwortung, wenn jemand sich von mir zurückzieht. Auch ich kann etwas tun, um den Konflikt zu bereinigen, auch wenn ich erst einmal nicht weiß, was ich vielleicht falsch gemacht habe. Der/die andere kann es mir sagen, was ich in seinen/ihren Augen falsch gemacht habe, woran ich noch gar nicht gedacht habe. Meistens kann ich nicht wissen, womit ich den anderen zurückgewiesen habe, ohne es zu wollen.
Austausch unabhängig von der Einstellung zu bestimmten Themen
Im Gespräch miteinander zu bleiben auch über Meinungsgrenzen hinweg, ist ein hohes Gut. Nur so können wir Gräben verhindern oder diese wieder zuschütten – langsam und allmählich. Auch diese Themen werden uns noch lange begleiten. Sie sind die Überbleibsel einer Krise, die das Virus ausgelöst hat, deren Folgen aber menschengemacht sind.
Und damit meine ich nicht nur Politiker, sondern jede/n von uns.