Haltung zeigen statt hassen – Teil 1

Ausgelöst durch die derzeitigen Demonstrationen handelt die 3teilige Artikelserie „Haltung zeigen statt hassenvom Hass: unserem Erleben damit, den Hintergründen, den Auswirkungen auf die Welt und auf jeden Einzelnen.

Von Martin Carstens

Teil 1: Wie kommt Hass in die Welt?

Sonntag, 21. Januar 2024, Münchner Innenstadt…

Weit mehr als 100.000 Münchner, engagierte Bürgerinnen und Bürger strömen zur Kundgebung Richtung Odeonsplatz und Siegestor. Ich bin zutiefst – berührt von der Meinungsvielfalt unserer pluralistischen Zivilgesellschaft, den kreativen Plakaten und den Menschen, die für das Privileg, in einer Demokratie leben zu dürfen, auf die Straße gehen, gegen rechts demonstrieren und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Gleichzeitig machen mich einige Plakate mit Aussagen wie „Ganz München hasst die AFD“ sehr nachdenklich. Soll ich hier als Münchner für etwas vereinnahmt werden, für das ich nicht stehe und für das ich nicht hier bin? Soll ich jetzt hassen, obwohl ich keinen Hass in mir verspüre? Ich spüre inneren Widerstand und merke und lese später, vielen Menschen auf den Kundgebungen geht es ähnlich.

Es stellt sich mir die Frage: Was ist eigentlich Hass?

Was für Gefühlsqualitäten sind in diesem Gefühl verwoben? Wie entsteht Hass und welche Bedeutung haben Bedürfnisse und deren Regulation? Welche Auswirkungen hat Hass auf mich und auf andere? Wie kann ich dem Hass entgegentreten und was könnten wirksame Strategien und Haltungen gegen Hass sein?

Ein Blick in Wikipedia:

Der Hass ist ein intensives Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit. Hass wird als Gegenpol zur Liebe betrachtet. Im Gegensatz zum Substantiv Hass (ursprünglich als Ausdruck für den stärksten Grad feindseliger Abneigung) hat das Verb hassen eine deutliche Bedeutungsabschwächung (etwa in Wendungen wie „Ich hasse Kartoffelbrei“) erfahren. Das Wort geht zurück auf althochdeutsch haz „Feindseligkeit, aggressive Handlung; Widerwillen, Abneigung“. (…)

Im Buddhismus gilt der Hass neben „Verblendung und Gier“ als „eines der Drei Geistesgifte.

Kein leichtes Thema über ein mir eher fremdes Gefühl. Hass ist weit verbreitet und begleitet uns Menschen seit Jahrtausenden in den unterschiedlichsten und grausamsten Formen. Hass ist also auch immer ein Spiegel in die seelischen Abgründe des Menschen. Hass kommt in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten vor, von unpolitisch bis zu politischem Links- bis Rechtsextremismus, gegen das Establishment, gegen das Kapital, gegen sozial Schwache und gesellschaftliche Randgruppen, gegen Umweltzerstörer und Umweltschützer, in Nachbarschaften, Familien und Partnerschaften, … die Liste ist grenzenlos. Oftmals ist Hass nur ein „GEGEN“ und zeigt nicht, „WOFÜR“ wir plädieren.

Eine positive Seite von Hass?

Bei jeder Emotion ist auch eine positive Seite zu finden, nicht so beim Hass. Hass ist eine böse, destruktive, rücksichtslose, zerstörerische und kalte Emotion, in deren Umfeld die weichen und warmen Emotionen und Bedürfnisse wie Toleranz, Zuneigung, Respekt, Wertschätzung, Humor, Empathie, Dialog- und Beziehungsfähigkeit zurückgehen, verschwinden und das Gewissen als moralische Instanz verloren geht.

Dazu zwei Zitate von Nelson Mandela:

„Ein Mensch,
der einen anderen Menschen seiner Freiheit beraubt,
ist Gefangener seines Hasses,
er ist eingesperrt hinter den Gittern seiner Vorurteile und seiner Engstirnigkeit.“

und

„Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging,
wusste ich,
dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste,
oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.“

Hass ist „klebrig“

Wenn man hasst, ist man Gefangener seiner eigenen Geschichte, seiner Biografie, seines So-Geworden- seins. Der Hass kommt nicht schnell und verraucht nicht gleich wieder, wie ein Anflug oder Phasen von Zorn, Wut, Trauer oder Angst. Alle unsere Basisemotionen und auch Bedürfnisse kommen und gehen wieder, der Hass hingegen schleicht sich langsam in die eigene Seele ein, vergiftet einen selbst, führt häufig zum Selbsthass und vergiftet nachhaltig das soziale Umfeld. Er spaltet Familien, Gesellschaften und wiegelt Völker gegeneinander auf. Hass ist ein gerichtetes Gefühl gegen andere Menschen. Man könnte fast sagen, „Hass ist klebrig“.

Feindseligkeit, Gewalt und Grausamkeit sind nicht einfach „da“. Sie sind oft komplexe soziale und auch parasitäre Muster, die im Laufe der Zeit entstehen und für deren Entstehung es bestimmte Rahmenbedingungen braucht. Es sind kulturelle und politische Prägungen, familiäre Prägungen, manchmal auch über Generationen hinweg.

Nochmal Nelson Mandela:

„Niemand wird geboren,
um einen anderen Menschen zu hassen.
Menschen müssen zu hassen lernen
und wenn sie zu hassen lernen können,
dann kann Ihnen auch gelehrt werden zu lieben,
denn Liebe empfindet das menschliche Herz viel natürlicher als ihr Gegenteil.“

„Angst isst Seele auf“ – Rainer Werner Fassbinder

Die Grundlagen von Hass sind vielfältig. Auslöser können unterschiedliche Reize sein wie verletztes Gerechtigkeitsempfinden, kränkende Beziehungserfahrungen wie nicht geliebt zu werden, Liebesentzug, nicht willkommen geheißen zu werden in dieser Welt, Machtlosigkeit am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, fehlende positive Resonanz, mangelnde Selbstwirksamkeit, kleinere und größere Kränkungserfahrungen, sich als Verlierer zu erleben, Enttäuschungen, Entwertungen, beschämt, zurückgewiesen und ausgeschlossen zu werden, große Ungerechtigkeiten erlebt zu haben, andere Werte, die den eigenen widersprechen und als bedrohlich erlebet werden, Angst vor dem Fremden. Die Liste ist endlos. Diese vielfältigen Ohnmachtserfahrungen und die daraus folgende Affektlogik sind meist die lebensgeschichtlichen Grundlagen des Hasses.

Kränkende und einschränkende Erfahrungen, die gefühlte Machtlosigkeit und der dahinterliegende Schmerz werden als existenziell bedrohlich erlebt und lösen destruktive Wut, Hetze, unterschiedliche Formen der Angst, Verbitterung, Misstrauen, Vorurteile, Neid, Gier, Ekel und Rache aus, verwirbeln sich zum Hass.

Ausgrenzung durch Hass

In der Aggression und Ressentiments gegenüber gesellschaftlichen Außenseitergruppen wie Migrantinnen und Migranten, politisch Andersdenkenden bricht dann die Wut und der Hass durch, Empörungswellen entstehen. Die „Lösung“ scheint darin zu liegen, andere Menschen und andere Meinungen auszugrenzen, abzuwerten, als Ursache der Probleme zu stigmatisieren, ihnen die Schuld zu geben, Menschen existenziell zu bedrohen und zu vernichten. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen werden denunziert, etikettiert, ihre Individualität wird negiert, Sündenböcke und Stereotypen entstehen, die als Bedrohung des eigenen Weltbildes erlebt, bekämpft und vernichtet werden müssen.

Mit dieser diabolischen Strategie versuchen sie, aus der Opferhaltung herauszukommen, handlungsfähig zu werden und sich wieder selbstwirksam zu erleben. Gleichzeitig entsteht in diesen Gruppen eine hohe Konformität der Überzeugungen. Der verhängnisvolle soziale Gruppendruck und die daraus entstehende Zugehörigkeit lässt immer weniger abweichende Meinungen zu, es entstehen systemisch sich selbst radikalisierende Überzeugungen durch Gruppendenken und den entstehenden Filterblasen. Andere Meinungen werden als bedrohlich erlebt und müssen bekämpft werden. Die Grundüberzeugungen und die Begegnung mit immer gleichen Meinungen wird zum verfestigten Weltbild, andere Meinungen werden nicht mehr gehört, der Versuch der Auseinandersetzung stößt auf taube Ohren, Kommunikation wird gleichgeschaltet, Widerspruch im Keim erstickt.

Dem Lernen fern

Wer schon alles weiß, hat sich vom Lernen verabschiedet und erweitert kaum noch den eigenen Horizont. Das mag vertraut und beruhigend wirken, denn die Echokammer bekräftigt das eigene Weltbild, da man ja ständig von seinem eigenen mentalen Spiegelbild umgeben ist. Gleichzeitig schmälert sich dadurch die Empathie und das Verständnis für andere Perspektiven. Irgendwann kommen Menschen an den Punkt, sich nicht mehr mit anderen Ansichten, Theorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Misstrauen entsteht, was ist Lüge, was ist Wahrheit, was sind (alternative) Fakten?


Hier finden Sie Teil 2 der Artikelserie „Haltung zeigen statt Hassen“
Hier finden Sie Teil 3 der Artikelserie „Haltung zeigen statt hassen“

Quellen:

Haltung zeigen statt hassen – Teil 1
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