Mach mich nicht an – Mach mich doch mal wieder an

Wie Paare mit Stress umgehen

Stress in Paarbeziehungen (heterosexuellen wie homosexuellen) gehört zum Alltag von Psychotherapie und Beratung.

In der Corona-Zeit standen viele Paare unter hohen Belastungen – vor allem wenn auch noch Kinder da und vornehmlich die ganze Zeit zu Hause waren. Dadurch haben sich die Freiräume zum Leben der Paarbeziehung eingeengt. Paare haben mehr oder weniger gut funktioniert, sind sich auf den Wecker gegangen, haben sich geliebt, sind geflohen, haben einander angegriffen – meistens verbal – und sind sich aus dem Weg gegangen. Das haben sie schon immer gemacht, allerdings hat die Pandemie bzw. die verfügten Einschränkungen wegen der Pandemie die Belastungen zugespitzt. Die Folgen sind auch immer noch vorhanden, auch wenn sich im sozialen Raum einiges gelockert hat, denn die Wunden aus dem letzten Jahr brennen noch.

Innere Entfernung und negative Projektionen

Es tut Paaren und ihrer Liebe nicht gut, wenn sie über lange Zeit nur noch funktionieren. Dies bereitet den Nährboden für innere Entfernung und negative Projektionen auf den jeweils anderen/die jeweils andere:: Bei Paaren, die nur oder fast nur funktionieren, entwickeln sich die Partner auseinander. Und genau dann haben negative Projektionen auf den jeweils anderen/die jeweils andere einen besseren Nährboden: Aussagen, Handlungen oder auch Unterlassungen werden als gegen sich selbst gerichtet gedeutet: „Der sieht mich gar nicht mehr.“ „Sie denkt immer nur an sich.“ „Er denkt wohl, ich bin seine Putzfrau.“ „Sie schläft nicht mit mir und will mich damit bestrafen.“ „Immer muss ich den ersten Schritt tun.“ Und viele weitere ähnliche Sätze, die ich in Paartherapien höre.

Ein Paar hat nach einer tiefen Krise, die fast zur Trennung geführt hätte, ohne dass andere Partner im Spiel waren, wieder zueinander gefunden und beide sagen übereinstimmend: „Ich fühle mich gesehen.“ und „Es ist aufregend wie am ersten Tag.“ Doch der Alltag lässt die guten Vorsätze schwinden, Verabredungen, die die Qualität der Beziehung verbessern sollten, werden nicht eingehalten, weil es sogenannte Notwendigkeiten in der Arbeit und/oder mit den Eltern und/oder mit den Kindern gibt. Es ist der Wahnsinn, wie schnell sich die alten Muster wieder herstellen und damit der Stress wieder zunimmt. Die Folge? Der Resignation wird die Tür geöffnet: „Es hat doch keinen Zweck.“ Meine Erfahrung zeigt mir, dass nach jedem gescheiterten Versuch der Verbesserung es schwieriger weitergeht, weil die Hoffnung schwindet.

Das „alt Bewährte“ bestimmt unser Verhalten

An dieser Stelle haben wir äußere Stressfaktoren, die in die Beziehung hineinspielen und denen eine höhere Priorität eingeräumt wird als der Beziehung. Das ist gar nicht böse gemeint. Häufig steht dahinter die Angst, im Job nicht gut genug zu sein, die eigenen Eltern zu enttäuschen oder als Eltern zu versagen.

In der Tat stehen Paarbeziehungen heute unter hohen Anforderungen im Umgang mit divergierenden Interessen. So kommen Paare und die einzelnen Partner in ein Dilemma, das zu oft zugunsten der äußeren Faktoren gelöst wird. Die Angst dort ist von inneren Werten und Antreibern („Ich muss“, „Ich sollte“) bestimmt, die wir meistens schon seit unserer Kindheit in uns tragen und die gerade in stressigen Zeiten die Oberhand gewinnen – das „alt Bewährte“ wird wieder bestimmend für unser Verhalten.

Die Fragen sind hier: Wie wichtig sind die äußeren Anforderungen wirklich? Lohnt es sich, dafür ein Stück Beziehungsqualität zu opfern? Was vermeiden die Partner, wenn sie den äußeren Anforderungen eine höhere Priorität einräumen?

Der Unterschied zwischen Deutung und Wahrnehmung.

Der zweite Hauptpunkt betrifft die Projektionen, die sich Partner wechselseitig überstülpen. Sie entstehen aus der Gewissheit, dass die eigene Deutung des Verhaltens des oder der anderen richtig ist. Also wird der oder die andere so behandelt, als würde die eigene Deutung der Ereignisse stimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutung stimmt, liegt bei unter 50%, ist also hoch fehleranfällig. Gleichzeitig fällt die Korrektur der eigenen Deutung, die dann auch noch als „Wahrnehmung“ bezeichnet wird, schwer. Wussten Sie, was eine entscheidende Quelle für Probleme in Paar- oder sonstigen Beziehungen ist? Dass die Menschen keinen Unterschied machen (oder erkennen) zwischen Deutung und Wahrnehmung.

Wenn das dann auch noch verallgemeinert wird im Sinne von: „So ist der oder die andere, dann fühlen die Partner sich wechselseitig verkannt, nicht mehr als die gesehen, die sie sind. Das führt unweigerlich zu Verletzungen, die dann auch noch oft schwer heilen. (siehe hierzu die Serie „Wie mache ich mir das Leben schwer“ bei Netzwerk Stress & Trauma)

Die Fragen, die sich stellen

Stimmt meine Deutung? Darf ich den anderen/die andere fragen, wie etwas gemeint war? Stimmt mein Bild vom anderen/von der anderen, das ich mir gemacht habe? Was bringt mich eventuell dazu, genau diese Aspekte auf Partner/Partnerin zu projizieren?

Gerade Letzteres führt häufig dazu, dass wir entdecken, dass wir Aspekte eines Elternteils, der uns Schwierigkeiten bereitet hat, auf Partner/Partnerin projizieren. Wenn es möglich ist, solche Projektionen zumindest teilweise zurückzunehmen, ist bereits viel gewonnen.

Lassen Sie sich, lasst euch darauf ein, eure Partner immer wieder neu zu erleben, statt sie durch die immer selbe Brille anzuschauen! Vielleicht kriegt ihr das allein nicht hin. Dann sucht euch professionelle Begleitung.

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