Mit innerer Sicherheit durch die Krisen

Mit innerer Sicherheit durch die Krisen

Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Wir kommen gar nicht mehr aus dem Krisenmodus raus seit Anfang 2020. Während die Corona-Krise hinter den anderen Krisen verblasst, weil schwere Erkrankungsfälle seltener geworden sind, hat sich der Krieg in der Ukraine und seine Folgen stark in den Vordergrund gedrängt und konkurriert mit der Klimakrise um den ersten Platz. Die Finanzkrise, die teilweise eine Folge des Kriegs in der Ukraine ist, wird aber noch zusätzlich angeheizt durch die ohnehin schon bestehende Verteuerung von Produkten auf dem Weltmarkt. Das hatte sich ja schon 2021 gezeigt.

Die Krisen kommen bei den Menschen an

Als ich aus dem Urlaub zurückkam, war ich zunächst erstaunt, dass von diesen Krisen in den Therapien wenig zu spüren war. Das ändert sich gerade. Menschen merken, dass die Heizungstemperatur in Wohnblocks gedrosselt wurde, verschiedene haben schon Nebenkostenerhöhungen durch die Vermieter erhalten, die allgemein steigenden Energiepreise haben schon jetzt mehr oder weniger große Löcher in die Portemonnaies gerissen. Die Unsicherheit der Menschen steigt wieder an bis hin zur großen Angst vor kompletten Energie-Ausfällen im Laufe des Winters. Seit praktisch alles in unserem Leben nur noch mit Strom funktioniert, hätten wir bei einem längeren Stromausfall z.B. auch kein Wasser mehr. Ich persönlich glaube nicht, dass es so weit kommen wird, aber eine sichere Aussage dazu kann vermutlich niemand machen. Wird es infolge der Teuerungen zunehmende Insolvenzen geben mit der Folge von Arbeitsplatzverlust? Was kann ich mir überhaupt noch leisten in meinem Leben?

Keine unbezweifelbaren Sicherheiten

Was können wir tun, wenn die Ängste wieder steigen? Es ist eine Tatsache, dass wir über keine unbezweifelbaren Sicherheiten verfügen. Und es ist schwer, mit dieser ständigen Unsicherheit umzugehen, vor allem wenn ich innerlich labil und auf einen stabilen Rahmen angewiesen bin, um wenigstens dadurch ein Stück Sicherheit in meinem Leben zu haben.[*] Wer ein finanzielles Polster hat, muss sich weniger Sorgen machen als die Menschen, die ihr gesamtes Einkommen für den Lebensunterhalt verbrauchen.

In der Psychotherapie können wir die äußere Sicherheit nicht beeinflussen. Wir können die Menschen nur darin unterstützen, mehr innere Sicherheit zu erlangen.

Krisen steigern Ängste

In der Regel geht der Mangel an innerer Sicherheit auf Bindungsstörungen zu den nahen Bezugspersonen zurück. Wer als Kind nicht sicher gebunden war, kann ein Stück davon vielleicht im späteren Leben lernen, aber wer das nicht gelernt hat, weil er oder sie auch im späteren Leben keine sichere Bindungserfahrung machen konnte, neigt bei zunehmender äußerer Unsicherheit zu einer Steigerung der Ängste. Das kann sich bei entsprechenden Auslösern in der Außenwelt auch bis zur Panik steigern und z.B. geschehen, wenn ich um meine Existenz fürchten muss. Diese existenziellen Bedrohungen nehmen ja tatsächlich zu.

Halt durch Bindung

In meiner Praxisarbeit heißt das z.B., dass ich diesen Menschen einen sicheren Platz in der Psychotherapie biete, wo sie einerseits immer wieder die eigene Unsicherheit zu überwinden lernen und andererseits die vergangene Erfahrung von unsicherer Bindung emotional verarbeiten, neu verstehen und gegenwärtige Erfahrung als eine Brücke zu einer Sicherheit begreifen können. Letzteres sind keine schnellen Prozesse: sie können sich über Jahre hinziehen. D.h. dass Menschen, die mit so einer Störung schon länger bei uns in Psychotherapie sind, bessere Chancen haben durch diese Krisen ein Stück stabiler durchzukommen.

Die innere Sicherheit der Therapeuten

Um diese Arbeit tun zu können, brauchen wir als Psychotherapeuten und Coaches ausreichend von dieser inneren Sicherheit in uns. Deswegen ist es unsere Aufgabe, diese innere Sicherheit, wenn sie uns zwischendurch mal verloren gehen sollte, durch eigene psychotherapeutische Begleitung und/oder Supervision wieder herzustellen. Sonst können wir für die Menschen, die zu uns kommen, nicht glaubwürdig sein. Das Schöne an unserem Beruf ist ja, dass wir uns auch immer wieder mit uns selbst beschäftigen müssen, damit wir im inneren Gleichgewicht bleiben, um unseren Klienten hilfreich sein zu können.


[*] Siehe hierzu auch diverse Artikel aus dem Buch „Veränderung in unsicheren Zeiten“

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